ServiceNow und Celonis gehen strategische Partnerschaft ein: Eine Gefahr für SAP?

Vor gut zwei Wochen, am 06.10.2021, kündigten Celonis und ServiceNow eine strategische Partnerschaft an (siehe z.B. die Veröffentlichungen dazu auf den jeweiligen Webseiten von Celonis und ServiceNow). Durch diesen Schritt wird einmal mehr ein Trend offensichtlich, der sich schon durch SAP‘s Kauf von Signavio (siehe hierzu auch meinen Blog-Beitrag vom 28.01.2021) angedeutet hatte: Unternehmen, die Process Mining-Lösungen anbieten, kooperieren mit Lösungsanbietern, um die mittels Process Mining erkannten Prozessdefizite beheben zu können. Sowohl in meinem kritischen Grundlagenartikel zu Process Mining als auch in o.g. Blog-Artikel ging ich auf diese Problematik bereits ein und es war natürlich abzusehen: Nur mit den Erkenntnissen über Unzulänglichkeiten in den eigenen Abläufen ist kein Blumentopf zu gewinnen. Erst die daraus abgeleiteten Handlungen zur Behebung der Schwachstellen bringen ein Unternehmen wirklich nach vorne. Und genau diese Entwicklung können wir an der Celonis/ServiceNow-Partnerschaft sehr schön beobachten!

Ist das nun die Trotzreaktion von Celonis, die sich schon nach dem SAP-Signavio-Deal angedeutet hatte? Wie muss sich Celonis wohl gefühlt haben, als sich SAP durch den Kauf von Signavio eine eigene Process Mining-Lösung in ihr Produkt-Portfolio holte? Offensichtlich ist das Münchener Vorzeigeunternehmen bei der Suche nach einem passenden Lösungsanbieter in ServiceNow nun fündig geworden. Aus meiner Sicht sind an dieser Partnerschaft zwei Aspekte besonders hervorzuheben:

  1. Der CEO von ServiceNow ist niemand geringerer als Ex-SAP-CEO Bill McDermott
  2. Mit ServiceNow steigt ein Anbieter in den Ring, der neben Standardlösungen auch eine Low-Code-Entwicklungsumgebung auf Basis grafischer Workflows anbietet

Punkt 1 ist besonders delikat: Bill McDermott kennt die SAP aus seiner Zeit als SAP-CEO natürlich wie seine Westentasche und weiß somit um SAP’s Stärken und Schwächen. Der Deal hat also ein ganz besonders „Geschmäckle“ und man darf gespannt sein, wie aggressiv er mit ServiceNow sein ehemaliges Unternehmen angeht. Nutzt er die (vermeintlichen) Schwächen der SAP zu seinen Gunsten?

Aber auch Punkt 2 ist nicht zu unterschätzen: ServiceNow setzt auf eine Low-Code-Plattform, die sie aggressiv mit der Eigenschaft bewirbt, Workflows in kürzester Zeit umsetzen zu können – und das auf grafischer Basis. Das ist durchaus bemerkenswert und bestätigt meine Einschätzung, wohin die Reise bei der Implementierung von Abläufen zukünftig hingehen wird. Obwohl ServiceNow mit Ihrer Plattform zwei offensichtliche Fehler begeht (welche sind das wohl 😉?), die beispielsweise die SAP zu ihrem Vorteil nutzen könnte, gibt ihnen der Erfolg dieser Strategie aktuell recht. Wie wird die SAP auf diese Kampfansage jetzt wohl reagieren? Ich hätte da einen Vorschlag 😉. Wie dem auch sei: Es wird auf alle Fälle spannend zu beobachten sein, wie sich der hier abzeichnende Zweikampf der Systeme zwischen den Paaren SAP/Signavio und ServiceNow/Celonis weiterentwickeln wird. Ich werde Sie diesbezüglich hier auf meiner Plattform natürlich auf dem Laufenden halten! Seien Sie also gespannt 😊.

Digitalisierungs-Eldorado „Öffentliche Verwaltung“

In meinem heutigen Blog-Beitrag möchte ich auf einen hörenswerten Podcast des Handelsblatts aufmerksam machen, der am 09.07.2021 veröffentlicht wurde und unter diesem Link anzuhören ist. In diesem Podcast wird Lars Zimmermann interviewt. Gemäß der oben verlinkten Ankündigungsseite zu dem Podcast „baut Lars Zimmermann mit Public eine sogenannte Venture Firm auf, die Tech-Startups und Verwaltungen zusammenbringt. Außerdem stellt Public Kontakt zwischen Startups und internationalen Investoren her, die gerade enorme Summen in das Feld investieren.“

Inhaltlich werden folgende Fragen diskutiert (ebenfalls obiger Seite entnommen):

„Welche Ideen haben wirklich eine Chance? Wie sieht ein moderner Staat aus? Ist es überhaupt realistisch, dass die schleppende Digitalisierung mehr Fahrt aufnimmt oder bleibt es am Ende wieder bei leeren Versprechen? Und welche Rolle können junge Technologiefirmen bei alledem spielen?“

Soweit also die Ankündigung auf der Handelsblatt-Webseite. Hört man sich den Podcast an, so ist es im Grunde ein einziger Schrei nach dem „Prozessgesteuerten Ansatz“. Wieder einmal geht es im Kern um neue Prozesse, die, wenig überraschend, so schnell wie irgend möglich umzusetzen sind. Auch Lars Zimmermann weist auf den hinlänglich bekannten Punkt hin, dass es nichts bringen wird, aktuelle Prozesse einfach nur digital nachzubauen. An dieser Stelle erinnere ich nur an das altbekannten Dirks-Zitat: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“

Zimmermann formuliert es etwas eleganter (Minute 11:29): „Wir digitalisieren gerade die Vergangenheit nach.“ Aber er spricht auch die organisatorischen Herausforderungen der Digitalisierung an, denen wir insbesondere hier in Deutschland aufgrund der föderalen Struktur gegenüberstehen. Auf den Punkt gebracht sagt er (Minute 12:35): „Wie machen wir den Föderalismus fit für das 21. Jahrhundert?“

Allein: Wegweisende Antworten, wie das genau zu erreichen ist, findet man nur wenige, denn wir werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das föderale System nicht grundlegend infrage stellen. Von daher bin ich, was diese Forderung angeht, mehr als skeptisch.

Angesprochen auf Public und welche Rolle Public konkret spielt, stimmen mich seine Antworten ebenfalls nachdenklich. Konkret antwortet er (ab Minute 19:40):

„Unser Hebel ist, dass wir sagen, es gibt ’ne ganze Reihe von technologischen Lösungen und Innovationen, die in der Tech-Szene schon bestehen oder dort entwickelt werden und die aber noch keine Anwendung in Verwaltungen finden und wir sagen: Es würde so viel einen Mehrwert für alle möglichen Bereiche geben, wenn wir diese Lösungen aus Deutschland oder aus Europa in Deutschland selber anwenden. D.h. wir versuchen im Grunde genommen diese Brücke zu bauen zwischen Startups/Technologieunternehmen und dem Staat als Anwender und als Nachfrager und als Auftraggeber und damit können wir natürlich z.B. relativ schnell sehr gute Produkte in die Verwaltung bringen.“

Er spricht auch später stets von den „richtigen Produkten“ (21:36) für die Verwaltungen. Das ist typisch für die meiner Meinung nach nicht mehr passende Denkweise im Zeitalter der digitalen Transformation. Es geht eben nicht mehr um fertige Lösungen und Produkte, die dann mal so eben in den Verwaltungen einzusetzen sind. Das verschlimmert den Zustand der Schnittstellenrepublik, wie es die ebenfalls in dem Podcast zitierte Bundeskanzlerin (Minute 24:10) so treffend ausdrückt, nur zusätzlich. Außerdem befindet sich der Markt in einem solchen Wandel, auf welche Lösung sollten die Verwaltungen denn setzen? Die Lösung von heute ist morgen schon wieder veraltet. Wie will man bei diesem Hase-und-Igel-Rennen gewinnen? Glaubt Hr. Zimmermann wirklich, dies ließe sich in diesem Ameisenhaufen in irgendeiner Form geordnet umsetzen? Ich glaube nicht daran.

Das bereits oben angesprochene Zitat der Bundeskanzlerin ist in vielerlei Hinsicht interessant. Hören wir nochmal in den Podcast rein (24:10):

„Wir dürfen keine Schnittstellenrepublik werden, wo wir permanent irgendwelche Schnittstellen miteinander vernetzen, wo sich aber die einzelnen Untersysteme nicht gleichmäßig weiterentwickeln. Und Digitalisierung hat ja ständige Erneuerung und das ist ’ne richtige tiefe Debatte, die wir über die Funktionsfähigkeit eines föderalen Systems im digitalen Zeitalter führen müssen.“

Diese Systemvielfalt ist mit Sicherheit ein Hindernis bei der geforderten schnellen digitalen Transformation Deutschlands. Aber sich dieser Herausforderung zu stellen und Lösungen unter Berücksichtigung der Heterogenität zu finden, genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Stattdessen wird Unmögliches gefordert: Die Untersysteme, wie es die Bundeskanzlerin fordert, sollen sich gleichmäßig weiterentwickeln. Wie soll das funktionieren? Wie soll das in diesem „Hühnerhaufen“ umgesetzt werden? Und das schnell?

Lars Zimmermann schlägt in eine ähnliche Kerbe (ab Minute 24:40). Er fordert die Erfüllung von drei Bedingungen. Sind sie erfüllt, so Zimmermann, dann ist die Skalierung von Technologie zu schaffen:

  1. Zentrales Auffinden der Lösungen und deren Einsatz (aktuell keine Transparenz im Markt, was wo eingesetzt wird)
  2. Interoperabilität
  3. Standardisierung (Marktplatz, Plattform)

Getoppt werden diese Bedingungen mit Zimmermanns Aussage, die den „heiligen Gral der kommunalen Selbstbestimmung in Technologiefragen“ (25:55) infrage stellt. Meine Meinung dazu: Unrealistisch!

Die einzige Möglichkeit, in diesen stürmischen Zeiten die Weichen richtig zu stellen, ist die Standardisierung auf Prozessebene. Diese Prozesse in einem Process App Store zu sammeln und den Verwaltungen dann zur Verfügung zu stellen. Dieser Ansatz scheint mir zielführend und erfolgversprechend zu sein, wenn es darum geht, Prozesse in der Fläche zu skalieren.

Diese Skalierung in der Fläche wird auch von Markus Richter als kritisch angesehen. Markus Richter ist CIO der Bundesregierung und gibt im Podcast ebenfalls ein kurzes Statement ab (Minute 35:10): „Wir haben viele digitalen Lösungen und in vielen Bereichen ist das auch im Praxisbetrieb. Aber es skaliert nicht in der Fläche. Es ist eben nicht so, dass man in Deutschland auf einen Knopf drückt und dann ist der digitale Bauantrag in allen Kommunen vorhanden. […] Das ist die große Herausforderung, die Skalierung in der Fläche.“

Genau diesem Traum des Knopfdrucks und des Ausrollens von Prozessen in der Fläche kommen wir mit dem Process App Store schon sehr nahe, insbesondere natürlich dann, wenn diese Prozesse dem „Prozessgesteuerten Ansatz“ folgen. So können diese innovativen systemunabhängigen Fachprozesse über systemabhängige Integrationsprozesse (siehe hierzu den Abschnitt der „Prozessgesteuerten Architektur“ in meinem Grundlagenartikel über den Prozessgesteuerten Ansatz) an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten der Behörde angepasst werden, in der die neuen Fachprozesse letztendlich zum Einsatz kommen.

In die föderalen Strukturen müsste bei diesem Vorgehen nicht eingegriffen werden. Die Kommunen dürften sogar unabhängig voneinander neue Prozesslösungen erarbeiten und sie im Process App Store zur Wiederverwendung veröffentlichen, alles kein Problem. Es kommt letztendlich zu einem Wettbewerb der Prozessideen und nicht der Produkte und Lösungen! Der bessere (Prozess) möge gewinnen. Und diese könnten anschließend mit überschaubarem Aufwand in den Kommunen zum Einsatz kommen! So könnten Deutschlands Verwaltungen wirklich innoviert werden! Wenn uns das gelänge, könnten wir wieder zu den Vorreitern der Verwaltungen werden, wie uns dies im analogen Zeitalter gelungen war und damit dem finalen Wunsch von Lars Zimmermann erfüllen, wenn er fordert (Minute 47:45):

„Die Bundesrepublik Deutschland sollte die Ambitionen haben zu sagen, wir sind unter den Top Drei Tech-Nationen der Welt. Das sollte und muss aus meiner Sicht die Ambition sein, auch der nächsten Bundesregierung: Zu sagen, es gibt drei Länder, wo Technologien die Basis für zukünftiges Wachstum sind und das sind die USA, das ist China und das ist die Bundesrepublik Deutschland“.

Der „Prozessgesteuerte Ansatz“ steht jedenfalls bereit, um diese Ambitionen Wirklichkeit werden zu lassen!

„Selber machen“ ist das Motto der Digitalen Transformation

Vielleicht haben Sie heute (10.03.2021) auch von Apples neuen Plänen hinsichtlich der Investitionen in den Standort Deutschland erfahren. Wie z.B. diesem Artikel auf der Webseite des bayerischen Rundfunks zu entnehmen ist, will Apple mehr als eine Milliarde Euro investieren und u.a. München zum Europäischen Zentrum für Chip-Design ausbauen. Neben diesen erfreulichen Ankündigungen für den Standort Deutschland ist aber eine weitere wichtige Botschaft für uns von besonderem Interesse. Ich zitiere aus obigen Artikel:

„Apple hatte früher für seine Produkte wie iPhone, iPad und Mac vor allem Chips von Herstellern wie Qualcomm und Intel bezogen. Der kalifornische Konzern verfolgt aber seit Jahren einen Masterplan, die wichtigsten Halbleiter selbst zu entwerfen.“

Die Einsicht von Managern, wettbewerbsentscheidende wertschöpfende Aktivitäten selbst zu erbringen und nicht erbringen zu lassen, ist ein ganz typischer Trend bei der digitalen Transformation, der branchenübergreifend zu beobachten ist.

Denken Sie beispielsweise an Tesla. Tesla lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, soweit es irgendwie möglich ist, sämtliche in ihren Autos verbauten Teile selbst zu produzieren und nur so wenig wie möglich zuliefern zu lassen.

Bei Amazon geht es soweit, dass der Begriff „Standardsoftware“ für das Unternehmen ein Fremdwort zu sein scheint. Sämtliche Software zur Abwicklung ihrer Prozesse stammt selbstverständlich aus dem eigenen Hause. Es ist dadurch sogar ein eigenes neues Standbein entstanden, das uns allen unter dem Begriff „Amazon Web Services“ (AWS) wohlbekannt ist. AWS ist mittlerweile zu einem wichtigen wirtschaftlichen Bestandteil von Amazon geworden.

Last but not least ist Netflix selbst zum Filmproduzenten geworden und streamt nicht mehr nur die Filme etablierter Studios.

Alle diese Beispiele zeigen eines sehr deutlich: Die Firmen streben eine größtmögliche Unabhängigkeit an, um jederzeit das Ruder fest in den Händen halten und bei veränderten Rahmenbedingungen agieren (und nicht nur reagieren) zu können. Denn in unserer schnelllebigen Zeit der digitalen Transformation ist genau das überlebenswichtig: Schnell agieren zu können!

Vor diesem Hintergrund ist es teilweise nur schwer zu verstehen, wie sich unsere einheimischen Unternehmen aktuell verhalten. Gerade bei IT-Themen scheint es ja nur noch einen großen Trend zu geben: Ab in die Cloud! Unternehmen müssen sich aber im Klaren darüber sein, dass sie die Kontrolle über Stamm- und Bewegungsdaten als auch Prozesse an die Cloud-Dienstleister abgeben. Die Abhängigkeit von dem Cloud-Provider ist also immens.

Schnelle Eingriffe sind da nur schwerlich möglich. Eine für mich angesichts der anstehenden Herausforderungen der digitalen Transformation schwer nachvollziehbare Einstellung. Ich kann nur hoffen, dass wenigstens die für ein Unternehmen wettbewerbsentscheidenden Prozesse im eigenen Rechenzentrum verbleiben. Denn nur so kann zumindest in diesem Kerngebiet adäquat gehandelt werden.

Ähnlich trübe sieht es in unserer Automobilindustrie aus: Sie zeichnet sich dadurch aus, relativ wenig selbst zu produzieren, sondern sich die benötigten Teile und Vorprodukte von unzähligen Partnern zuliefern zu lassen. Auch hier ist eine hohe Abhängigkeit von den Zulieferern zu attestieren.

Was wir hier beobachten ist also das genaue Gegenteil von dem, was obige erwiesenermaßen erfolgreiche Unternehmen aktuell tun.

Das sollte unseren Unternehmen zumindest zu denken geben! Ich für meinen Teil kann „nur“ für die IT-Seite Stellung beziehen. Und da lautet die Devise ganz eindeutig: Nur eine handlungsfähige IT sichert das Überleben der Unternehmen auf ihrem Weg in die digitale Transformation. Umso wichtiger ist folglich die Kontrolle über die eigenen Kernprozesse und die Unabhängigkeit von externen Dienstleistern! Derartige Prozesse haben also nichts in der Cloud verloren. Unternehmen sollten sich also sehr gut überlegen, was sie an externe Cloud-Anbieter auslagern und was nicht. Denn wer weiß, welcher Prozess als nächster von einer disruptiven Innovation betroffen sein wird. Dann können Unternehmen nur hoffen, dass es kein Prozess ist, den sie in die Cloud ausgelagert haben…

SAP kauft Signavio

Diese Schlagzeile, die sich gestern (27.01.2021) wie ein Lauffeuer verbreitete (siehe z.B. entsprechende Veröffentlichungen auf den Online-Plattformen vom Manager Magazin, Handelsblatt, CIO oder Business Insider) kann natürlich nicht unkommentiert bleiben. Nachdem ich mich in einem meiner letzten Blogs kritisch zu SAP’s Zukunft geäußert hatte, freut mich diese Ankündigung natürlich umso mehr! Noch zu meiner SAP-Zeit habe ich mich stets für eine enge Zusammenarbeit mit Signavio und sogar für deren Kauf stark gemacht. Umso erfreulicher, dass nun Vollzug gemeldet werden kann. Allerdings waren meine Beweggründe für einen Kauf damals anders motiviert, denn zu der damaligen Zeit war deren BPMN-Modellierungstool einfach herausragend im Vergleich zu anderen Angeboten. Cloudbasiert, sehr intuitiv und einfach zu bedienen und natürlich, ganz wichtig, die vollständige Abdeckung der BPMN-Elemente. Auch heute noch setze ich den Process Manager bevorzugt in der Lehre ein. Ich hoffe, die kostenlose Bereitstellung des Tools für Universitäten und Hochschulen bleibt auch unter der SAP erhalten 😉

Den Presseberichten folgend, steht bei diesem Kauf jedoch ein anderer Beweggrund im Mittelpunkt: Process Mining und Geschäftsprozessoptimierung! Denn auch Signavio konnte der Process-Mining-Versuchung nicht widerstehen und etablierte die Signavio Business Transformation Suite (siehe Signavio-Homepage zur Business Transformation Suite), die sich voll und ganz auf die Optimierung von Geschäftsprozessen durch „Live Insights“ (also der Echtzeit-Anzeige von Unternehmensabläufen) konzentriert. Das ist natürlich ein herber Schlag für Celonis, mit denen SAP bisher im Bereich Process Mining kooperierte. Nach meinem Artikel über Process Mining kennen Sie meine kritische Haltung zu diesem Thema. Dennoch lässt sich natürlich kurz- und mittelfristig darauf ein lukratives Geschäft aufbauen. Genau das, was SAP jetzt benötigt.

Ich jedenfalls freue mich für die SAP und das Team um Signavio-Chef Gero Decker. Jetzt fehlt der SAP eigentlich nur noch eine vernünftige Process Engine, um die mit Signavio modellierten BPMN-Modelle zur Ausführung zu bringen. Aber auch hier gibt es interessante Übernahmekandidaten. Ich hätte da ein paar Vorschläge… 😉

Wird SAP Opfer des „Innovator’s Dilemma“?

In einem meiner früheren Blog-Beiträge bin ich ja schon einmal auf das hervorragende Buch von Clayton M. Christensen mit dem Titel „The Innovator’s Dilemma – Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren“ [1] eingegangen. Warum ich jetzt nochmals dieses Buch aufgreife, hat mit den jüngsten Ereignissen an der Börse zu tun. Was war passiert? Am Montag, 26.10.2020, gab die SAP ihre Geschäftszahlen bekannt. Gleichzeitig wurde ein Ausblick auf die nächsten Jahre gegeben. Die Reaktionen auf diese Ankündigungen waren allerdings verheerend. In einem Beitrag auf boerse.ard.de heißt es dazu: „Die Aktien des größten europäischen Softwarehauses stürzten am Montag zeitweise um mehr als 22 Prozent abso stark wie zuletzt Anfang 1999. Sie schlossen letztlich bei 97,66 Euro, ein Rückgang um 21,81 Prozent.“

Das ist ein Erdbeben! Während sich in Amerika sämtliche Tech-Unternehmen von Rekord zu Rekord schwingen, muss Deutschlands Vorzeigeunternehmen für Unternehmenssoftware einen herben Rückschlag hinnehmen. Mich interessieren dabei weniger die konkreten Zahlen als das Dilemma, in dem sich SAP befindet. Denn SAP vollzieht gerade einen fundamentalen Wandel vom Verkauf von Lizenzen (altes Geschäftsmodell) zum Mietgeschäft über die Cloud (neues Geschäftsmodell). Die Cloud, also das Bereitstellen der Unternehmenssoftware in den Rechenzentren der SAP, die Vermietung dieser Software an die Kunden und die Verrechnung nach Nutzung bzw. im Abonnement, stellt eine disruptive Innovation ganz im Sinne von Clayton M. Christensen dar.

Es stellt sich also die Frage, ob SAP den Herausforderungen dieser disruptiven Innovation gewachsen ist? Aufgrund der vorliegenden Zahlen liefert das Cloud-Geschäft offensichtlich noch nicht den dafür notwendigen Beitrag. In dem o.g. Artikel heißt es dazu: „…, denn das Cloudgeschäft ist noch immer nicht so profitabel wie die Softwareverkäufe gegen einmalige Lizenzgebühren.“

Obwohl die SAP also seit Jahren über das Cloud-Geschäft spricht und enorme Gelder investiert, scheint der Konzern den Anschluss verloren zu haben. Diese Tendenzen und insbesondere die Aussagen von Finanzvorstand Luka Mucic in einem Welt-Interview haben mich an die fatalen Aussagen von Clayton M. Christensen über Unternehmen erinnert, die den Wandel bei disruptiven Innovationen nicht meistern, ja nicht meistern können. Vergleichen wir also einmal die Aussagen von Christensen über Disruptionen und ihre Auswirkungen auf etablierte Unternehmen mit den uns bekannten Informationen über SAP.

Gleich in der Einführung zu seinem Buch geht Christensen auf die „Logik des Scheiterns“ (S. 6) ein. Sie beruht auf drei Erkenntnissäulen (S. 6-8):

Die erste Säule bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen evolutionären und disruptiven Technologien. Laut Christensen führen disruptive Technologien (in unserem Fall das Cloud-Geschäft) zunächst zu schlechteren Produkten. Er schreibt: „Paradoxerweise sind sie es [die disruptiven Technologien – Anm. des Autors], die bislang führende Unternehmen zu Fall bringen. Sie sprechen einen anderen Kundennutzen an. In aller Regel können Produkte, die auf Basis disruptiver Technologien entstehen, nicht mit der Leistungsfähigkeit etablierter Produkte Schritt halten. Dafür haben sie andere Qualitäten. Und gerade deshalb werden sie von einer kleinen Gruppe neuer Kunden geschätzt. Produkte auf der Grundlage disruptiver Technologien sind oftmals billiger, einfacher und nicht selten bequemer.“

Disruptionen beginnen also langsam in einer Nische zu wachsen, die für etablierte Unternehmen völlig uninteressant ist. Kleiner Markt, wenige Kunden, geringe Marge. So können sich neue Unternehmen, die Disruptoren wie im Cloud-Geschäft beispielsweise Salesforce, völlig ungestört entwickeln. Über die Zeit wachsen die disruptiven Lösungen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und stoßen Schritt für Schritt in den Leistungsbereich der etablierten Lösungen vor (hier also das SAP-Stammgeschäft). Nach für nach erkennen auch die Kunden des etablierten Unternehmens die Vorteile des Disruptors und schwenken zur Konkurrenz, da der bisherige Platzhirsch keine adäquate Alternative anbieten kann. Genau an diesem Punkt scheint mir die SAP zu sein!

Diese Entwicklung hängt eng mit der zweiten Erkenntnissäule des Scheiterns zusammen, dass nämlich etablierte Unternehmen mit ihren bisherigen Lösungen über das Ziel hinausschießen, ihr Angebot also „overengineeren“. Dazu Christensen:

„Im Bestreben, bessere Produkte als ihre Wettbewerber zu entwickeln und damit höhere Margen zu erzielen, schießen die Unternehmen über das Ziel hinaus. Sie bieten ihren Kunden mehr als sie brauchen und auch mehr als sie dafür zu zahlen bereit sind. Das schafft Raum für disruptive Technologien. Sie liegen zunächst noch weit hinter der Leistungsfähigkeit einer evolutionären Technologie zurück, können aber über die Zeit durchaus volle Wettbewerbsfähigkeit erlangen.“

Ergänzend dazu schreibt Christensen auf S. 17: „Damit tragen sie [also die etablierten Unternehmen – Anm. des Autors] selbst gehörig dazu bei, dass sich unterhalb ihrer Produktleistung ein Vakuum entwickelt, das Raum schafft für einfachere und billigere Produkte. Sie selbst ebnen damit neuen Konkurrenten den Weg, die auf Basis disruptiver Technologien in den Markt eintreten.“

Besser kann man es wahrscheinlich nicht auf den Punkt bringen und trifft auf das Dilemma im Hause SAP vollumfänglich zu. Der für mich allerdings wichtigste Punkt adressiert Christensen in seiner dritten Erkenntnissäule. Er schreibt (S. 8):

„Die dritte Säule unserer ‚Logik des Scheiterns‘ betrifft die Art und Weise, wie etablierte Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen treffen. Für diese Unternehmen macht es prima vista wenig Sinn, in disruptive Technologien zu investieren. Das hat drei Gründe: Erstens sind disruptive Produkte einfacher, billiger und lassen eher niedrigere als höhere Margen erwarten. Zum Zweiten finden disruptive Produkte zunächst nur den Weg in unbedeutende Marktsegmente. Und drittens haben die profitablen Stammkunden keine Verwendung für diese Produkte. Eine disruptive Technologie wird – in aller Regel – zunächst von wenig attraktiven Kunden nachgefragt. Unternehmen, die auf ihre wichtigsten Kunden hören, setzen primär auf Innovationen, die hohe Gewinne und Wachstum versprechen. Investitionen in disruptive Technologien lösen die Versprechen nicht ein.“

Ziehen wir jetzt noch die Aussagen von Luka Mucic aus o.a. Interview hinzu, so wird die fatale Situation augenscheinlich. So entgegnet Mucic ab Minute 2:40 des Interviews auf die Frage, warum die SAP nicht früher und konsequenter in das Cloudgeschäft eingestiegen sei: „Jetzt sehen wir allerdings, nachdem die Kunden merken, wie wichtig es ist, rasch durch cloudbasierte Lösungen ihre Geschäftsprozesse simplifizieren und standardisieren zu können und auch eine größere operative Resilienz zu erhalten, dass auch für unsere Kern-ERP-Lösungen die Kunden ganz klar von uns ein vereinfachtes Cloud-Angebot wünschen und in diesen Bedarf wollen wir uns auch hineinlehnen und jetzt tatsächlich fundamental und sehr rasch die Transformation voll und ganz zum Cloudgeschäftsmodell bewerkstelligen.“

Diese Aussagen zeigen sehr schön, wie die disruptive Cloud-Technologie offensichtlich den Reifegrad erreicht hat, um auch das Stammgeschäft der SAP zu gefährden. SAP hat zudem keine passenden Lösungen parat, denn sonst müsste SAP ja wohl kaum verkünden, jetzt vollumfänglich in das Cloudgeschäft einzusteigen. Hier muss man natürlich die naheliegende Frage stellen, warum das erst jetzt geschieht?

Weiter sagt Mucic ab Minute 3:46: „Deswegen ist das [also in das Cloudgeschäft voll und ganz einzusteigen – Anm. des Autors] jetzt der richtige Schritt, sich in die Krise hineinzulehnen und die daraus resultierenden Änderungen im Kaufverhalten zu antizipieren. Wenn wir das zwei, drei Jahre früher gemacht hätten, dann wären wir jetzt vielleicht einen Schritt weiter. Auf der anderen Seite waren damals die Rahmenbedingungen und auch die Kundenpräferenzen in der Tat noch andere.“

Das sind Aussagen für ein ganz typisches Fehlverhalten von etablierten Unternehmen beim Auftreten disruptiver Technologien im Sinne von Christensen: Die starke Abhängigkeit von Kunden und deren Bedürfnissen! Und genau hier liegt das Problem: SAP hat zu sehr auf ihre Kunden gehört und damit den Anschluss im Cloud-Geschäft schlicht verschlafen!

Zusammenfassend können wir festhalten: Die uns vorliegenden Informationen lassen fatale Parallelen zum Scheitern erfolgreicher Unternehmen beim Auftreten disruptiver Technologien erkennen. Adäquate SAP-Cloudlösungen scheint es nicht zu geben und die Zukäufe zum Kaschieren von Lücken bereiten zum Teil eher Probleme als Freude (Luka Mucic spricht beispielsweise selbst Concur an). Der Kurssturz ist aus dieser Sichtweise mehr als nachvollziehbar. Als ehemaliger SAP-Mitarbeiter, der dieses Unternehmen sehr zu schätzen gelernt hat und viele erfreuliche Erinnerungen mit ihm verbindet, tut das richtig weh. Hoffen wir mal, dass die SAP den Turnaround schafft und diese Herausforderung meistern kann. Immerhin hat die SAP eine treue Kundenbasis. Allerdings bedeutet der Wechsel von dem etablierten SAP-Produkt auf Cloudlösungen für die betroffenen Unternehmen einen erheblichen Aufwand und gestaltet sich selbst innerhalb der SAP-Welt wahrscheinlich ähnlich aufwändig, als wenn man gleich zu einem neuen Anbieter wechselt. Wie groß die Treue innerhalb der SAP-Kundenlandschaft sein wird, ist also mitentscheidend, wie gut SAP aus dieser Misere herauskommt. Ich drücke jedenfalls die Daumen und vielleicht kann der „Prozessgesteuerte Ansatz“ ja zur Bewätligung beitragen! 😉

[1] Christensen, Clayton M.: The Innovator’s Dilemma – Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren. München: Verlag Franz Vahlen, 2013, ISBN-13: 978-3800637911

Digitalisierung und der „Prozessgesteuerte Ansatz“

Eigentlich sollte es nur ein kurzer Blog über die Digitalisierung und dessen Auswirkungen auf Unternehmen werden. Konkret sollte die Notwendigkeit für Unternehmen herausgearbeitet werden, den Schritt hin zur individuellen Softwareentwicklung zu wagen, um mit Produkten und Dienstleistungen noch erfolgreicher zu werden. Doch dann wurde der Blog immer länger, so dass ich mich schließlich dazu entschloss, ihn in Form eines Artikels auf meiner Webseite zu veröffentlichen.

So ist also ein neuer Artikel entstanden, den ich heute unter dem Titel Systematische/strukturierte Digitalisierung mit dem „Prozessgesteuerten Ansatz“: Ein Plädoyer für die Individualentwicklung im Zeitalter der Digitalisierung veröffentlicht habe. Die wesentlichen Kernbotschaften fasse ich für ganz Ungeduldigen hier gerne zusammen:

  • Digitalisierung bedeutet für Unternehmen den gezielten Einsatz von IT im Kerngeschäft, um im scharfen Wettbewerb besser zu sein als die Konkurrenz und um somit zu gewinnen.
  • Um besser zu sein, müssen Unternehmen neben Innovationen im Kerngeschäft (Produkte, Dienstleistungen) im Zuge der Digitalisierung zunehmend auch im IT-Bereich innovativ sein. Das ist eine der wichtigsten Lehren, die Unternehmen aus der Digitalisierung ziehen müssen.
  • Die bisher erfolgreich eingesetzte Strategie, anfallende Herausforderungen im IT-Bereich durch den Kauf von Standardsoftware zu lösen, fällt für die Individualisierung im Kerngeschäft aus. Standardsoftware wickelt nun mal nur Standardprozesse ab, die sich bereits über Jahre in der jeweiligen Industrie etabliert und bewährt haben. Innovationen für das Kerngeschäft eines Unternehmens sind hier nicht zu erzielen.
  • Wenn Unternehmen im Kerngeschäft durch IT-Einsatz innovativ sein müssen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen, so gelingt dies folglich nur über Individualentwicklung.
  • Unternehmen müssen sich dabei für die Individualentwicklung auf ihre Kernprozesse fokussieren und verstehen, wie sie sich diese von Standardprozessen unterscheiden.
  • Der Einsatz des „Prozessgesteuerten Ansatzes“ nimmt den Unternehmen Berührungsängste mit der individuellen Softwareentwicklung ab. Der Ansatz hilft auf Basis von Prozessmodellen bei der zielgerichteten Identifikation der Bereiche im Unternehmen, wo eine Digitalisierung lohnt und erlaubt gleichzeitig den sanften Einstieg in die Individualentwicklung aufgrund einer stringent fachlich motivierten Vorgehensweise!

Neugierig geworden? Dann schauen Sie vielleicht doch mal schnell hier vorbei. Ich wünsche jedenfalls viel Spaß bei der Lektüre 🙂

IT-/Prozess-Fiasko bei der Deutschen Bank

Es war die Schlagzeile des gestrigen Tages (07.07.2020) auf boerse.ard.de: „Deutsche Bank und Google werden Partner“. Was hat die Deutsche Bank nicht schon alles versucht, um aus ihrem IT-Schlamassel herauszukommen? Die folgenden Zitate aus dem oben verlinkten Online-Artikel geben einen Einblick in das Drama:

  • „Bei der größten deutschen Bank ist die IT schon seit langer Zeit eine Großbaustelle.“
  • „So hatte der frühere Konzernchef John Cryan die IT der Bank kurz nach seinem Amtsantritt 2015 öffentlich als ‚lausig‘ bezeichnet.“
  • „Die Ex-IT-Chefin Kim Hammond, die eigentlich die Probleme lösen sollte, musste Anfang 2018 nach nur kurzer Zeit im Amt wieder gehen. Zuvor hatte sie die Bank bei einer internen Tagung als das „dysfunktionalste Unternehmen„, für das sie je gearbeitet habe, bezeichnet.“
  • „Das größte Problem der Deutschen-Bank-IT sind nach wie vor die vielen verschiedenen Systeme.“
    Anmerkung: So ist das nun mal. Damit hat jedes Unternehmen zu kämpfen, nicht nur die Deutsche Bank. Aber offensichtlich ist die Deutsche Bank selbst nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Wieder ein Unternehmen, das die eigenen Prozesse nicht beherrscht!
  • „2012 hatte die größte deutsche börsennotierte Bank SAP damit beauftragt, die Plattformen zu harmonisieren. Das unter dem Namen Magellan bekannte Großprojekt scheiterte jedoch.“
    Anmerkung: Kein Ruhmesblatt für das ansonsten erfolgsverwöhnte deutsche IT-Vorzeigeunternehmen. Daher jetzt vielleicht der Wechsel zu den vermeintlich überlegenen Amerikanern?
  • „Der frühere SAP-Manager Bernd Leukert, der bei der Deutschen Bank inzwischen im Vorstand für Technologie, Daten und Innovation verantwortlich ist, sieht in der Zusammenarbeit mit Google einen bedeutenden Schritt für die Technologiestrategie der Bank.“
    Anmerkung: Dieses Zitat (v)erschreckt mich zutiefst! Ein ehemaliger hochrangiger SAP-Manager gibt indirekt das Versagen seines ehemaligen Brötchengebers in dieser Angelegenheit zu. Auch er sieht augenscheinlich nur noch das Heil in der Flucht in die Fänge eines möglichen Heilsbringers. Offensichtlich bietet SAP keine konkurrenzfähige Technologie für die Cloud an, sonst wäre ja ein solcher Schritt nicht notwendig – und als ehemaliger SAP-Entwicklungsvorstand, der bei der SAP für die Cloud-Technologie verantwortlich war (!!!), muss er es wissen. Ich frage mich nur, warum andere SAP-Kunden auf die Cloud-Technologie des Walldorfer Unternehmens zurückgreifen sollen, wenn selbst ein ausgesprochener Kenner der Szene und der SAP-Cloud-Lösung ihr nicht vertraut? Das ist schon starker Tobak.
    Tatsächlich halte ich diese Aussage Bernd Leukerts für die SAP für brandgefährlich!

Das ist eine Liste des Schreckens, ein Desaster! Nun also Google. Verbunden damit ist wohl die Hoffnung, von Googles Cloud-Angebot und den Erfahrungen im Big Data-Bereich zu profitieren. Bei mir schwingen dagegen eher Zweifel mit. Für mich ist es tatsächlich eine Bankrotterklärung, eine Verzweiflungstat. Nachdem alles nicht funktioniert hat (die obige Liste ist beeindruckend und erschreckend zugleich), greift man nun nach dem wohl allerletzten Strohhalm: Einem (ohne Zweifel) IT-erfahrenen Anbieter mit klingendem amerikanischen Namen. Da muss es doch jetzt endlich klappen. Ich bezweifele das, weil meiner Meinung nach Abhängigkeiten geschaffen werden, die nicht zu einer vernünftigen Digitalisierungsstrategie passen. Wenn wir doch eins aus der Digitalisierung gelernt haben, dann ist es doch der Wandel von Unternehmen hin zu IT-Unternehmen. Digitalisierung bedeutet ein Mehr an IT, ein Mehr an Software. In einem Artikel auf der Online-Plattform CIO wird dieser Sachverhalt beeindruckend thematisiert: Softwareentwickler: die neuen Königsmacher.

Wer diese Entwicklung nicht versteht, versteht die Digitalisierung nicht. Folglich müssen Unternehmen diese Kernkompetenz in ihren eigenen Reihen aufbauen und eben nicht, wie es die Deutsche Bank gerade plant, auslagern. Die Deutsche Bank begeht meiner Auffassung nach einen doppelten Fehler: Sie lagern ihre Kernprozesse aus und sie lassen ihre Software extern betreiben. Damit begeben sie sich in eine doppelte Abhängigkeit, wo doch die Unabhängigkeit in den Kernkompetenzen oberstes Gebot der Stunde sein sollte. Auch das hat uns doch die Corona-Pandemie gelehrt: In einer Krise ist Unabhängigkeit Trumpf!

Dabei bietet gerade der „Prozessgesteuerte Ansatz“ genau die Lösung, wonach die Deutsche Bank so händeringend sucht. Der Ansatz erlaubt aufgrund ihrer flexiblen Architektur Innovationen voranzutreiben und gleichzeitig in der existierenden IT-Landschaft aufzuräumen – eine Operation am offenen Herzen also. Außerdem verbleibt die Kernkompetenz (die Prozesse des Bankengeschäfts) im eigenen Hause. Vielleicht sollte die Deutsche Bank es einmal damit versuchen, statt sich im Akt der Verzweifelung einem amerikanischen Großunternehmen auszuliefern!

Dr. Robert Mayr (Datev) Interview in den Nürnberger Nachrichten über digitale Prozesse

Am 16. Juni 2020 veröffentlichten die Nürnberger Nachrichten ein bemerkenswertes Interview mit dem Datev-Chef Dr. Robert Mayr. Bereits in der Einleitung zu diesem Interview schreibt F. Holzschuh, Autor des Artikels:

Es hat nicht erst ein neuartiges Coronavirus gebraucht, um die Vorteile von digitalen Arbeitsprozessen zu demonstrieren. Aber spätestens jetzt zeigt sich, wie wichtig etwa automatisierte Prozessketten sind.

F. Holzschuh in „Nürnberger Nachrichten“ vom 16.06.2020, S. 19.

Neben kritischen Äußerungen zur Künstlichen Intelligenz (KI), die ich uneingeschränkt teile und die einen eigenen Blog-Beitrag wert sind, möchte ich hier nun die Antwort zitieren, die Dr. Robert Mayr auf die Frage „Wo sehen Sie die Chancen der Digitalisierung?“ gab. Ich zitiere wörtlich:

Die Coronakrise hat uns diese Chancen gerade sehr deutlich vor Augen geführt. Unternehmen, die digital und flexibel aufgestellt sind, taten sich sehr viel leichter, in den Krisenmodus zu wechseln, ohne an Schlagkraft zu verlieren. Ich hege die starke Hoffnung, dass viele Betriebe diese Erfahrungen auch in den zukünftigen „neuen“ Alltag mit hinübernehmen, etwa, was virtuelle Zusammenarbeit und durchgängige digitale Prozesse angeht. In Zeiten einer zunehmenden Vernetzung kann eine ganze Reihe von Abläufen automatisiert werden. Das betrifft natürlich auch die kaufmännischen Prozesse in Unternehmen. Sie eignen sich – mit relativ überschaubarem Aufwand – ganz hervorragend für den Einstieg in die Digitalisierung. Wenn ich die Daten einmal digital erfasst habe, am Beispiel der kaufmännischen Prozesse notfalls durch das Einscannen von Eingangsbelegen, können ganze Prozessketten damit automatisiert ablaufen. Das geht vom Angebot über die Rechnung bis zur Zahlungsauslösung. Ist dieser Prozess einmal aufgesetzt, bietet er einen riesigen Vorteil im Vergleich zur klassischen analogen Herangehensweise.

Dr. Robert Mayr in „Nürnberger Nachrichten“ vom 16.06.2020, S. 19.

Dem ist, so glaube ich, nichts mehr hinzuzufügen. Besser kann man die Digitalisierung durch Prozesse in so wenigen Worten kaum auf den Punkt bringen! Ob die Datev den „Prozessgesteuerten Ansatz“ einsetzt? Wahrscheinlich nicht. Aber ich frag mal nach. Vielleicht lässt sich ja auch bei der Datev noch etwas optimieren… 😉

ServiceNow entdeckt automatisierte Prozesse für sich

Bill McDermott ist Insidern sicherlich aus seiner Zeit bei der SAP bekannt (2002 bis 2019). Nach seinem Ausscheiden im Jahre 2019 heuerte er bei der amerikanischen Firma ServiceNow als CEO an. Mit Interesse las ich nun eine Ankündigung McDermotts zu vier neuen Apps zur Corona-Krisenbewältigung. In dem Artikel wird ServiceNow als „Anbieter von digitalen Workflows“ angepriesen. Zudem findet sich darin ein spannendes Zitat von Jennifer McNamara. Sie ist Chief Information Officer des Gesundheitsministeriums von Washington State:

Auf Grundlage der Now Platform konnten wir Prozesse digitalisieren, mit denen wir unsere Teams für das Incident Management schnell zusammenstellen und vor Ort bringen können. Anstelle manueller, arbeitsintensiver und störanfälliger Abläufe verfügen wir nun über einen automatisierten Prozess, mit dem wir die Ressourcenzuweisung jederzeit überblicken können. Durch die bessere Nachverfolgbarkeit haben wir zudem bessere Chancen, unsere Kosten bei den Bundesbehörden für eine Erstattung geltend zu machen. Wir wollen nun weitere Incident-Management-Funktionen automatisieren, wie z. B. die Demobilisierung von Ressourcen, die Planung, die Logistik und den Finanzbereich.

Jennifer McNamara, Chief Information Officer des Gesundheitsministeriums von Washington State

Hut ab – da hat offensichtlich jemand den Nutzen vollautomatisierter Prozesse verstanden. Ähnliche Vorteile führe ich ja auch immer wieder bei dem Einsatz des „Prozessgesteuerten Ansatzes“ auf, insbesondere die Reaktionsschnelligkeit sowie die gesteigerte Transparenz. Nun sind Ankündigungen dieser Art über neue Lösungen wahrlich nichts Neues. Wir werden nahezu täglich mit Produktankündigungen überflutet. Doch warum interessiert mich gerade diese Veröffentlichung? Es sind zwei Punkte, die mich neugierig haben werden lassen:

  1. ServiceNow ist primär als Cloud-Plattformhersteller bekannt, weniger als Lieferant von fachlichen (Standard-)Lösungen. Auf der englischen Wikipedia-Seite zu ServiceNow heißt es:

    „ServiceNow (Service-now in 2011) is a Santa Clara, California-based software company that develops a cloud computing platform to help companies manage digital workflows for enterprise operations.“

    Es handelt sich dabei also nicht um irgendeine generische Cloud-Plattform, die ServiceNow positioniert, sondern ganz explizit um eine Plattform zur Umsetzung digitaler Workflows. Schaut man sich zudem an, wie diese Workflows konkret zu erstellen sind, stößt man auf den sogenannten Flow Designer. Dieser wird vollmundig wie folgt angekündigt:

    „Enable anyone—from IT generalists to process analysts—to easily create end‑to‑end digital workflows that automate any business process—from simple productivity to complex transformation—in a no‑code, natural language environment.“

    Es handelt sich dabei um ein visuelles Werkzeug zur Erstellung von Abläufen basierend auf vorgefertigten Komponenten, die „nur noch“ in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden müssen – um es vereinfacht zu beschreiben. Zwar wird keine BPMN verwendet, die Parallelen zum „Prozessgesteuerten Ansatz“ sind jedoch offensichtlich.
  2. Bill McDermott! Ja, Sie lesen richtig – Bill McDermott ist mein zweiter Grund, weshalb ich hellhörig geworden bin. Denn Bill McDermott ist ein brillanter Verkäufer – seine Fähigkeiten waren auch innerhalb der SAP seinerzeit nahezu schon legendär. Wenn also ein Bill McDermott auf einmal vollautomatisierte Prozesse basierend auf einer cloudbasierten Plattform mit visueller Ablaufgestaltung derart pusht, dann muss man genauer hinsehen. Es wird ja auch unverholen mit der Einfachheit der Prozessgestaltung geworben:

    „IT can empower business users to automate processes by capturing IT developer expertise into codeless flow components discoverable and reusable by process analysts.“

    Fachabteilungen können also aufgrund der Komponenten bald ihre eigenen Workflows erstellen und das ohne Programmierung – wie bei einem Lego-Baukasten. Auch hier schimmert der „Prozessgesteuerte Ansatz“ durch (siehe hierzu meinen Beitrag zur Motivation des prozessgesteuerten Ansatzes).

Es sind also weniger die Details der angekündigten Apps, die mich interessierten, sondern die Art und Weise, wie die Lösungen erstellt werden. Die explizite Positionierung der Plattform zur Entwicklung visueller Abläufe und der Ablauf in einer Art Process Engine ist da schon bemerkenswert. Auch hier erfindet ServiceNow das Rad nicht neu. Bei Amazon und Netflix finden sich in AWS Step Functions und Netflix Conductor ähnliche Lösungen. Allerdings stellen diese beiden Hersteller ihre Lösungen nicht derart massiv in den Mittelpunkt, wie dies ServiceNow tut. Bei Amazon und Netflix handelt es sich um eine Lösungskomponente unter vielen. Bei ServiceNow ist der Entwicklungsansatz und ihre Process Engine der Schlüssel zum Erfolg.

Mein Fazit: Amerika erkennt zusehends den großen Nutzen von Prozessen zur Umsetzung von Digitalisierungsstrategien. Mit ServiceNow und Bill McDermott an deren Spitze bekennt sich ein Unternehmen ganz explizit öffentlich zu einer Strategie der ausführbaren Prozesse. Noch überzeugen mich bei allen drei oben genannten Lösungen (ServiceNow, Amazon, Netflix) weder die proprietären Notationen zur Darstellung der Abläufe noch die Architektur, die noch immer Aufrufe an IT-Systeme direkt in den fachlichen Prozess integriert, mit allen negativen Begleiterscheinungen, auf die ich in meinen Publikationen nun schon mehrfach eingegangen bin. Aber: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch hier ein Umdenken stattfinden wird.
Nichtsdestotrotz wird diese Art der Lösungsentwicklung durch McDermott gehörigen Rückenwind bekommen!

Noch haben wir meiner Meinung nach mit dem „Prozessgesteuerten Ansatz“ einen deutlichen Vorteil. Wir sollten ihn nutzen!

Einmal mehr Banken im Visier

Eines meiner Lieblingszitate stammt von Commerzbank-CEO Martin Zielke. In meinem Artikel über den „Prozessgesteuerten Ansatz“ habe ich es bereits kurz erwähnt, möchte es an dieser Stelle aber noch einmal aufgreifen:

Kunden erwarten von ihrer Bank zunehmend mehr Geschwindigkeit. Dafür müssen wir die im Hintergrund laufenden Prozesse verändern. Das ist der eigentliche Umbruch in der Branche. Es sind mehrere Tausend Prozesse, die wir weitgehend automatisieren müssen.

Dieses Zitat kann auf der Commerzbank-Webseite nachgelesen werden. Diese Worte sind für mich der Inbegriff der Digitalisierung und gelten so branchenübergreifend für alle Unternehmen. Sie dokumentieren auch sehr schön das gesamte Ausmaß der Digitalisierung, denn er spricht nicht von zehn oder hundert Prozesse. Nein, er spricht von mehreren Tausend Prozessen. Fürwahr eine Herkulesaufgabe. Ich frage mich nur, wie die Commerzbank das schaffen will? Sie können es sich sicherlich schon denken: Vielleicht sollte es die Commerzbank mal mit dem „Prozessgesteuerten Ansatz“ probieren, damit sie überhaupt eine Chance hat.

Dazu passt eine Meldung von Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, die ich heute auf der Reuters-Webseite fand:

Damit die Deutsche Bank ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verliere, sei neben einer strikten Kostendisziplin der Ausbau von Technologie wichtig, sagte Sewing. “Digitalisierung ist die neue Währung, sie ist die Basis, die über Erfolg und Misserfolg entscheidet.” Bis 2022 will die Bank für die Weiterentwicklung der als marode geltenden IT-Systeme 13 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Wieder sind wir mitten drin im Sturm der Digitalisierung und deren verheerenden Auswirkungen. Ich wundere mich schon ein wenig über den Zeitpunkt derartiger Einsichten. Das Zitat von Martin Zielke stammte immerhin vom 01.09.2016 (was ich persönlich auch schon reichlich spät fand). Aber derartige Aussagen heute, fast vier Jahre später zu treffen, klingt schon fast nach Satire.

Mich würde auch interessieren, was unter „Weiterentwicklung der als marode geltenden IT-Systeme“ zu verstehen ist. Sind sie nun marode oder nicht? Will man noch mehr Geld in diese maroden Systeme versenken oder nicht? Mit dem „Prozessgesteuerten Ansatz“ könnten die Banken neue, innovative Prozesse sofort umsetzen und dabei gleichzeitig Schritt für Schritt die Altsysteme austauschen. Das klingt nach einem Plan, der vernünftig ist! Die Fintechs zeigen bereits, wie moderne schlanke Prozesse aussehen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.